Feministische Politikwissenschaftlerin im Exil
Autobiographische Skizze
Zweiter Hungerstreik, Rachemassregeln und Spinnhaus
Diese jahrelange Erniedrigung, Deklassierung und Entrechtung,
Abhängigkeit von der Gnade arroganter Frauen-feinde, konnte ich nicht
länger ertragen; ich war inzwischen 52 Jahre. Männer mit Doktortitel
(mann braucht hier für die Doktorarbeit zwanzig Jahre und länger
oder schafft es nie) und einigen Publikationen - Halbilitation gibt es nicht
- erhalten eine Professur. Ich dagegen hatte zwölf Jahre nach meiner
Promotion noch immer den Status einer Anfängerin. Der finanzielle Schaden
durch extrem ungleiche Behandlung belief sich bereits 1985 auf mindestens
250. 000,- Gulden.
Also beschloss ich, erneut in Hungerstreik zu gehen: ich forderte eine dauerhafte
Anstellung, eine Ganztagsstelle und Einstufung in den Rang für Promovierte.
Die hohen Universitätsherren schäumten vor Wut: sie ignorierten
mich, sie verboten mir, meine Hungerstreik-"Flagge" am Geländer der Eingangstreppe
aufzuhängen (Studenten dürfen das selbstverständlich); sie
liessen einen Bodybilder auf mich los, der die Universität mit Gewalt
- vor mir, im gewaltlosen Widerstand - schützte. Ich sass schon viele
Tage hungernd auf einem Stuhl vor der Universität, als dieser Gorilla
sich auf mich stürzte, den Stuhl ergriff und mich aufs Pflaster warf,
ich schlug mit dem Kopf auf. - Der Stuhl, Eigentum der Universität, musste
wohl sichergestellt werden? - Zufällig war ein Pressephotograph anwesend,
der diese Attacke festhielt, sonst hätte die Universität auch diese
Tatsache bestritten. Das Photo ging durch die Presse des ganzen Landes, aber
kaum jemand fand das gewalttätige Vorgehen gegen mich skandalös.
Völlig undenkbar, einen Ausländer derartig zu misshandeln, denn
in seinem Falle hätten Linksprotestler Randale gemacht. In meinem Falle
waren sie völlig gleichgültig: eine Frau, eine Feministin,
eine Deutsche, eine Irre. - Ich ersuchte die deutsche Botschaft um Hilfe -
und machte weiter: ich verlor zusehends an Gewicht, bekam Hungerödeme
und fror, zu schwach zum Sitzen lag ich in Decken gehüllt auf einem Gartenstuhl.
Kalt und zynisch warteten die Herren auf meinen psychischen oder körperlichen
Zusammenbruch: dann würden sie einen Krankenwagen rufen - und das Problem
vor ihrer Tür war erledigt. - Ich verfügte daher schriftlich, dass
ich im Falle meiner Bewusstlosigkeit nicht in die Aufnahme in ein Krankenhaus
oder eine psychiatrische Anstalt einwillige. Ich erklärte meinen
Willen, vor der Tür der Universität, auf der Strasse sterben. Da
ich nach über drei Wochen immer noch nicht zusammengebrochen, aber sehr
schwach war, dämmerte es den Herren, dass sie wider Willen gezwungen
waren, meine Forderungen endlich ernst zu nehmen, wenn sie nicht eine verhungerte
Frau vor ihrer Tür finden wollten. Das wäre denn doch schädlich
für das Ansehen ihrer "demokratischen" Universität und ihrer "Emanzipationspolitik".
Mit Unterstützung zweier Wissenschaftlerinnen begannen mühsame
Unterhandlungen über minimale Zusagen: eine Anstellung auf Lebenszeit
für nur 32 Wochenstunden - doch kein höherer akademischer Rang,
absolut nicht. Ich war zu erschöpft, um wegen Durchsetzung dieser Forderung
noch länger hungern zu können, zumal mich meine Unterhändlerinnen
in diesem Punkt ungerechterweise im Stich liessen. Daher stimmte ich zu, nach
27 Tagen Hunger abgemagert zum Skelett von 40 kg.
Ich habe nicht erreicht, was mir von rechtswegen seit neun Jahren zustand,
aber ich, völlig machtlos, habe mir gegen die Übermacht und
Selbstherrlichkeit dieser Direktoren erkämpft - (mit Hungerstreik,
mann konnte mich also nicht verhaften lassen), was sie mir niemals auf gesetzlichem
Wege zubilligen wollten. Für mich hatten sie geltende Gesetze, Verwaltungsvorschriften
und wissenschaftliche Kriterien ausser Kraft gesetzt, weil ich eine
Frau, eine Feministin und Deutsche bin.
Ich beendete den Hungerstreik an einem Mittwoch, am Montag ging ich
wieder zur Arbeit. Nun übte mann Rache: Die Rechtsphilosophen, alles
Männer, warfen mich aus ihrer Fachgruppe, der Direktor der Fakultät
ordnete an, dass an mich kein Büromaterial mehr ausgegeben und mein Arbeitszimmer
geräumt wird, während ich auf Archiv-Reise war. Meine Arbeitsmaterialien
fand ich in Umzugskisten in einem Abbruchgebäude wieder. Obwohl ich an
dieser Fakultät angestellt war, erhielt ich auch keinen Zuschuss für
Konferenzreisen, den Ankauf von Literatur, für Photokopien und keinen
Computer; für Studierende wurden hunderte angeschafft. Keine andere Fachgruppe
wollte mich aufnehmen, ich wurde direkt dem Dekan unterstellt. Ich musste
noch mehrmals in andere Arbeitszimmer umziehen; zuletzt in ein kleines, dunkles
Zimmer im Spinnhaus, einst Arbeitshaus für widerspenstige Frauen.
Da ich keine Seminare geben durfte, die Frauen- und Männerstudien im
ganzen Land mich als Paria behandelten, verbrachte ich die folgenden zwölf
Jahre - bis 2000 - in einer Art Einzelhaft.
Als ich 2000, nach 22 Jahren in Pension ging, krähte kein Hahn nach mir,
keiner und keine, die mir die Hand gab. Selbst Portiers und Lagerarbeiter
werden dann verabschiedet, mit Vorzug behandelt. -
1985 hatte ich eine Beschwerde (7 Seiten mit 23 Beweisstücken) bei der
"Kommission gleiche Behandlung von Männern und Frauen bei der Arbeit
im öffentlichen Dienst" im Innenministerium, Den Haag, eingereicht.
Ich ersuchte die Kommission, meine Klagen hinsichtlich ungleicher Behandlungen
zu untersuchen und zu einer Beurteilung zu kommen. Nach etwa eineinhalb Jahren
teilten mir diese Juristeninnen mit, dass sie keine ungleiche Behandlung hatten
feststellen können! -
1989 hatte ich ein Buch über die Menschenrechte von Olympe de Gouges
mit der ersten Übersetzung ihrer Erklärung ins Holländische
veröffentlicht. Es wurde totgeschwiegen. Von diesem Zeitpunkt an investierte
ich keine Kraft und Zeit mehr in die schier hoffnungslosen, hiesigen Zustände:
dieses Land ist das frauenfeindlichste und anti-feministischste Westeuropas,
was durch eine dicke Schicht von Heuchelei, Lügen, nationalem Chauvinismus
und geschwollener Propaganda verdeckt ist. Dass dieses Land als erstes
in Europa, ja der Welt die Legalisierung der Zuhälter, Frauenkäufer
und Bordellbetreiber propagandistisch forciert und politisch zielstrebig durchgesetzt
hat, ist überwältigender Beweis dafür. Aber die Niederlande
fühlen sich als "gidsland" - als Führerland der Welt.
Aus den Gutachten zweier Professorinnen:
Profin. Dr. Else M. Barth, Universität Groningen, 28. 10. 1982:
"On the basis of this combination of daring and important choice of subject
and her historical knowledge, analytical intelligence and scholarly precision,
I do not hesitate for one moment to recommand Dr. H. Schröder for a full
professorship in the History of Political Philosophy."
Profin. Dr. Elisabeth Gössmann, Universität Tokyo und München,
20. 4. 1987:
"I consider Dr. H. Schröder to be one of the leading scholars in
Womens's Studies today."
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Nora Friedrich: Hannelore Schröder. Artikel in: Philosophinnen Lexikon.
Aachen 1994;
Senta Trömel-Plötz: Der Ausschluss von Frauen aus der Universität.
In: Dies.: Vatersprache - Mutterland. München 1992;
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