Prof. Dr. Janice G. Raymond
Zehn Argumente gegen die Legalisierung der Prostitution und für Gesetze gegen
die Nachfrager nach Prostitution
9. Legalisierung/Entkriminalisierung der Prostitution erweitert nicht die "Wahl"der Frauen
Die meisten Frauen in der Prostitution haben keine rationale
Wahl aus einer Reihe anderer Möglich-keiten getroffen, als sie in die
Prostitution gingen. Sie sitzen nicht eines Tages da und entscheiden, dass
sie Prostituierte werden wollen. Sie hatten keine andere realistische Wahl,
etwa zwischen Medizin, Jura, Krankenpflege oder Politik. Stattdessen war ihr
"Ausweg" bestimmt durch die Frage, wie sie sich und ihre Kinder ernähren.
Derartige "Wahl" ist Überlebens-Strategie zu nennen, also alles andere
als "freie Wahl".
Ganz im Gegensatz zu Konsens (freiwillige Vereinbarung über gleiche Rechte
und Pflichten, H. S.), muss sich eine prostituierte Frau den extrem
beschänkten Möglichkeiten, die sie hat, fügen. Ihre Fügsamkeit
ist erzwungen durch die Tatsache, dass sie sich an die Bedingungen der Ungleichheit
anpassen muss, Bedingungen, die die Käufer stellen, die sie bezahlen,
damit sie tut, was jene wollen, dass sie es tut.
Die meisten Frauen, die Raymond et. al. befragt haben, berichten, dass von
"Wahl" betreffend ihren Eintritt in die Prostitutions-Industrie nur im Zusammenhang
des Fehlens von anderen Auswegen gesprochen werden kann. Viele beschreiben
Prostitution als ihre letzte "Wahl" oder als unfreiwilligen Ausweg, um zu
überleben (Raymond et. al., 2001).
In einer anderen Studie kamen 67 % einer Gruppe von Beamten (Gesetzesvollstrecker/law
enforce-ment) zu dem Urteil, dass Frauen nicht freiwillig in die Prostitution
gehen. Desgleichen glaubten 72 % der Befragten in Sozialdiensten nicht, dass
Frauen freiwillig "wählen" in die Prostitutions-Industrie zu gehen (Raymond
et. al. , 2001). Die Unterscheidung zwischen gezwungener und "freiwilliger"
Prostitution ist nun gerade das, was die Prostitutions-Industrie propagiert,
weil es der Industrie mehr gesetzliche Sicherheit und Markt-Stabilität
bringt, wenn diese Unterscheidung dazu benutzt wird, Prostitution, Zuhälterei
und Bordelle zu legalisieren. Frauen, die erwägen Zuhälter, und
Zulieferer anzuzeigen, tragen die Beweislast dafür, dass sie gezwungen
wurden. Wie können diese stigma-tisierten, preisgegebenen Paria-Frauen
jemals im Stande sein, die Nötigung und den Zwang zu beweisen? Wenn prostituierte
Frauen beweisen müssen, dass Gewalt eingesetzt wurde, um sie zu rekrutieren
oder in ihren "Arbeitsbedingungen", dann haben nur sehr wenige Frauen die
Möglichkeit, Gesetze zu Hilfe zu rufen. Folglich werden nur sehr wenig
kriminelle Männer verfolgt. (Nie hat ein Gesetzgeber und eine Justiz
verlangt, dass schwarze Sklavinnen erst beweisen müssen, dass sie in
die Sklaverei gezwungen worden sind. Das ist zu absurd. H. S.)
Frauen in der Prostitution müssen über ihr Leben, ihre Leiber und
ihre Reaktionen immerzu lügen. Lüge ist Teil der "job"-Definition,
wenn die Käufer auch noch fragen, " Hat es Spass gemacht?"
Das ganze Gebäude der Prostitution beruht auf der Lüge, dass "Frauen
dies mögen". Einige Über-lebende der Prostitution haben ausgesagt,
dass sie Jahre nach Verlassen der Prostitution brauchten, um zuzugeben, dass
Prostitution keine freie Wahl war, denn das Verleugnen ihrer eigenen Fähigkeit
zu "wählen" bedeutet, sich selbst zu verleugnen. Es gibt keinen Zweifel,
dass eine kleine Zahl von Frauen, sagt, sie wählten selbst in die Prostitution
zu gehen, besonders bei öffentlichen Gelegenheiten, die von der Prostitutions-Industrie
veranstaltet werden.
In gleicher Weise "wählen" einige Leute gefährlichen Drogenkonsum,
wie Amphetamine. Aber selbst wenn einige dem gefährlichen Gebrauch von
Drogen "zustimmen", erkennen wir dennnoch, dass das gefährlich für
sie ist; und die meisten Leute plädieren nicht dafür, den Kauf und
Verkauf von Amphetaminen zu legalisieren. In solcher Konstellation ist die
Schädlichkeit für Menschen der politische Massstab - und nicht ihr
"Konsens".
1998 hat die Internationale Arbeits-Organisation (ILO der Vereinten Nationen)
in einem Rapport vorgeschlagen, die Prostitutions-Industrie als legitimen,
ökonomischen Sektor zu behandeln, dennoch befand die ILO:
"Prostitution ist eine der am schlimmsten entfremdenden Formen von Arbeit:
der Überblick (aus vier Ländern) zeigt, dass Frauen 'mit schwerem
Herzen' arbeiten, 'sich gezwungen fühlen" oder 'Gewissensbisse haben"
und eine negative Selbst-Identität haben. Ein grosser Teil sagte, dass
sie "sex work"(sic) verlassen wollen, wenn sie könnten". (Lim, 1998)
( Es ist ein nicht zu uberbietender, politischer Skandal, dass die ILO, Unterteil
der Vereinten Nationen, die Prostitution nicht als extremste Verletzung der
Menschenrechte dieser Frauen betrachten will, sondern diese sogar noch als
legal und legitime einstuft. SklavInnenhandel und Ausbeutung dieser menschlichen
Ware durch die Sklaveneigentumer war auch einmal ein "okonomischer Sektor",
aber ein verbrecherischer, illegitimer und ist daher kriminalisiert, politisch
verboten: Sklavenarbeit ist niemals freie Lohnarbeit, noch weniger ist Sexualsklaverei
mit freier Lohnarbeit gleich zu setzen. H.S.)
Wenn eine Frau in einer gewalttätigen Beziehung mit einem Mann, der sie
schlägt, bleibt, wenn sie ihn sogar verteidigt, dann verstehen besorgte
Frauen jetzt, dass sie nicht freiwillig darin steckt. Sie erkennen die Komplexität
ihrer Willfährigkeit. Wie geschlagene Frauen, mögen Frauen in der
Prostitution ihre Misshandlung verleugnen, weil ihnen keine Auswege, keine
Alternativen offen stehen.
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