Dr. Hannelore Schröder
Unabhängige Feministische Frauen-Organisation
oder
Weiterhin politischer Selbstmord?
Unabhängiger Frauen-Streik (Hamburg, 1994)
Eine Antwort auf die Frage "Wie weiter nach dem FrauenStreikTAG"? von J. Oesterle-Schwerin, Info 4/94
Viele autonome, von Männer-Parteien unabhängige
Feministinnen halten es ebenfalls für dringend notwendig, dass wir endlich
eine unabhängige "politische Kampforganisation aufbauen".
Mit dieser Überzeugung hat die feministische Bewegung um 1970 begonnen!
Denn allein Unabhängigkeit von Männer-Parteien machte es überhaupt
erst möglich, ein einziges lebenswichtiges Interesse von Frauen auch
nur zur Sprache zu bringen: Frauen in Parteien, linken Organisationen und
Gewerkschaften hatten (und haben) den Mund zu halten und Männer-Interessen
zu dienen!
Die Idee der autonomen Frauen-Organisation ist denn auch von allen Parteien
(und ihren Frauen), den Linken und ihren Medien verhöhnt und sabotiert
worden. Frauen haben politischen Führern zu folgen! Und deren Machtergreifung
zu dienen!
Es waren autonome Feministinnen, die - schon seit über 20 Jahren!
- immer wieder eine autonome Frauen-Großorganisation zur Vorbereitung
einer eigenen Partei gefordert und deren Aufbau versucht haben. Die
außerordentliche Wichtigkeit feministisch-politischer Organisation ist
jedoch von vielen Feministinnen (u. a. A. Schwarzer) nicht erkannt worden.
Immer wieder sind parteilose und erst recht Partei-Frauen der Illusion aufgesessen,
sie könnten das Machtmonopol der Männer-Parteien unangetastet lassen
und doch politisch etwas für Frauen erreichen.
Frauen aus Männerparteien, die sich als feministisch ausgeben, weisen
die Gründung einer eigenen Partei opportunistisch und borniert von der
Hand: das hat den Interessen des herrschenden Geschlechts sehr genutzt, aber
Frauen-Interessen unendich geschadet. Die Arroganz der Mächtigen ist
zum Terror über Frauen ausgeartet. Weiterhin politischer Selbstmord -
oder endlich Aufbau einer eigenen politischen Partei, das ist die Alternative!
Angewidert von Männer-Parteien und -Organisationen, machten viele den
fatalen Denkfehler: Frauen brauchen überhaupt keine politische Organisation!
Viele dachten, spontane Gruppen, "Netzwerke" (ohne Regeln und Programm) oder
ein lokaler Verein mit einem Ziel, seien ausreichend; andere ließen
sich immer noch - und wieder - von Männer-Parteien einfangen und mißbrauchen.
Und (fast) alle verschenkten ihre Wahlstimmen - an die herrschenden Parteien!
Die letzten 24 Jahre haben bewiesen, dass es so nicht vorwärts, sondern
immer weiter rückwärts geht - mit Frauen generell!
Der 218-Skandal, die zunehmende Armut, die katastrophale Erwerbslosigkeit
und Lohndiskriminierung, die eskalierende Gewalt gegen Frauen und Mädchen,
der ungenierte Frauenhass, den mann täglich in den Massenmedien verbreitet,
die infame Hetze gegen Feministinnen, die vielen, immer grausameren Frauenmorde,
die mann - im Gegensatz zu Ausländer-Morden - politisch ganz normal findet,
der Zynismus und die Willkür der Herren-Justiz, Übermut, Korruption
und moralische Verkommenheit von Partei-Herren (Rotlicht-Oskar! Amigos
überall ! ), der sadistische Antifeminismus "der Volksvertreter", die
Vergewaltigung in der Ehe, Prostitution, Pornographie und Frauenhandel schamlos
verteidigen (das sind ihre Interessen !), die also selbst die Schänder
unserer fundamentalsten Menschenrechte sind...all das ist kaum noch zu überbieten!
Jutta Oesterle hat völlig recht mit ihrem Vorschlag, auf dem nächsten
Treffen in Kassel unbedingt die weitere gemeinsame politisch-feministische
Organisation und Zielsetzung zu diskutieren und festzulegen! Das ist überfällig
- schon 24 Jahre zu spät! Das ist politisch dringend angesichts der extrem
frauenfeindlichen Politik der herrschenden Parteien!
Sie stellt drei Organisations-Modelle zur Diskussion:
I. "Lockerer Zusammenschluss" von
diversen Frauengruppen, wie bisher.
Das ist keine politische Organisation und daher zu verwerfen, denn:
1) Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben überdeutlich bewiesen, dass
dieses Modell politisch völlig unwirksam ist: es ist keine Gegenmacht
gegen das Machtmonopol der Parteien!
2) "Lockere Frauengruppen" machen kontinuierliche politische Arbeit unmöglich:
wie Einigung auf gemeinsame Ziele, Prioritäten, Taktiken, Aneignung feministischer
Kenntnisse, Herstellung von Propaganda-Material, Planung von Aktionen, Mitgliederwerbung
usw..
3) Die Fluktuation ist zu groß, die Zahl der zuverlässigen,
aktiven "Mitglieder" ist ungewiß, Erfahrungen gehen verloren,
eine finanzielle Basis besteht nicht, innerer Aufbau und Vergrößerung
usw. sind unmöglich.
4) Innere Demokratie ist unmöglich: welche "Mitglieder" wählen wen
als "Delegierte" mit welchem Auftrag? - Welcher Teil der "Gruppe" oder Person/en
welche Verantwortung übernimmt, ist dem Zufall überlassen! Keine
Gruppe kann Rechenschaft verlangen! Keine "Verantwortliche" , was sie auch
tut, kann von der "Basis" abgewählt werden! Innerdemokratische Kontrolle
ist unmöglich! - Das führt unausweichlich zu inneren Konflikten,
die wir uns nicht noch länger leisten können!
5) Der Unterwanderung durch Scheinfeministinnen, die primär Männer-Interessen
vertreten, folglich feministische Politik verhindern , ist Tür und Tor
geöffnet!
6) Zweifelhafte "spontane" Bündnisse mit nicht-feministischen Organisationen/Partei-Frauen
stören die konsequent feministisch-politische Arbeit.
7) Frauengruppen werden zynisch nur als "Durchlauferhitzer" für die "richtige"
Politik (in Männer-Parteien) missbraucht: Partei-Frauen versuchen
immer wieder Feministinnen auf Männerkurs zu bringen.
8) "Kampagnen" hin und wieder, bleiben ohne politische Wirkung! Denn sie tasten
das Machtmonopol der Parteien und Regierungen nicht an! Sie sind kein Ersatz
für permanente, wirksame feministische Opposition - im Parlament!
9) "Frauenbüros" in allen Bundesländern sind sicher notwendig, aber
zuerst müssen die Organisationsweise und das feministisch-politische
Programm festgelegt werden. Es ist auf jeden Fall zu verhindern, dass solche
Büros von Männer-Partei-Frauen besetzt und so zum verlängerten
Arm der etablierten Macht mißbraucht werden.
II. Deutsche NOW: Interessen-Lobby
von Feministinnen
NOW (USA), obwohl seit den 60-er Jahren sehr gut organisiert, mit innerdemokratischen
Regeln (Statut), eingetragenen Mitgliedern, Beiträgen, Spenden, Mitarbeit,
Wahlrecht, also gewählten Sprecherinnen, d. h. mit Rechten und
Pflichten der Mitglieder, mit feministischem Programm, Büros im
ganzen Land usw., sind NOW-Frauen nach dreissig ! Jahren zu dem Urteil und
Schluss gekommen, daß selbst diese gute, große Organisation nicht
ausreicht, um Frauen-Interessen politisch durchzusetzen, die Macht der Männer-Parteien
auch nur anzutasten, Feministinnen ins Parlament und in die Regierung zu bringen,
um so die herrschende Politik zu verändern! NOW untersucht nach diesen
langen Jahren schlechter Erfahrungen jetzt die Möglichkeiten für
eine Feministische Partei, (die durch das Wahlgesetz der USA sehr erschwert
sind). Auch diese grosse Nationale Organisation von Frauen, diese Lobby -
ist politisch nicht schlagkräftig!
Siehe: Susan Valudi, Backlash, New York 1991; Dt. Die Männer schlagen
zurück (Rowohlt).
III. Gründung einer unabhängigen
feministischen Partei
Da alles Bisherige gescheitert ist, - und scheitern wird! - ist dieser Vorschlag
jetzt endlich ernsthaft zu diskutieren!
Die zwei Nachteile (angebliche Hierarchie, Zwang zum Wahlzirkus) die Jutta
Oesterle nennt, sind keineswegs zwangsläufig, im Gegenteil: da intern
demokratische Regeln festgelegt sind, wählen Mitglieder ihre Sprecherinnen
bzw. Delegierte und kontrollieren sie, notfalls durch Abwahl: alle Mitglieder
haben gleiche Rechte und Pflichten (u. a. wählen und gewählt werden).
Diese Organisation ist nicht zu verwechseln mit Hierarchie. Hierarchie heisst
heilige, von oben aufgezwungene, unveränderliche Rangordung, wie in der
katholischen Kirche. Die Organisation als Partei bedeutet nicht automatisch
"hierarchische Strukturen", wie J. Oesterle behauptet. Der grosse Vorteil
ist, dass die in "gemischten Parteien" real existierende Geschlechter-Hierarchie,
Männer oben, Frauen unten, in der eigenen Partei abgeschafft ist. Wir
sind die Herren los. Das ist ein sehr grosser politischer Vorteil!
Niemannd kann uns "zwingen", uns am "Wahlzirkus" der herrschenden Parteien
zu beteiligen, ihn zu imitieren! Die Feministische Partei kann und muss
sogar einen Wahlkampf neuer Art führen, mit politischer Diskussion und
Information ihrer Wählerinnen, nicht mit Waschpulver-Werbung, Circus-Nummern
und Herren-Porträts!
Für die Organisation in einer eigenen Partei, ich schlage vor, sie Gerechtigkeits-Partei
zu nennen, sprechen folgende Gründe:
1. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts haben australische, englische und amerikanische
Feministinnen eigene Parteien gegründet: sie hatten den Antifeminismus
aller Parteien bereits klar erkannt!
2. Seit den 70-er Jahren haben Frauen in Frankreich, Spanien, England, Canada,
Holland, und mehrfach auch in der BRD Frauen-Parteien gegründet. Jetzt
auch in Russland.
3. Parteilose Feministinnen sollten gemeinsam mit dem Unabhängigen Frauenverband
(UFV), vorausgesetzt er ist unabhängig von der PDS und mit der bestehenden
Frauenpartei (Kiel) den bereits beschrittenen Weg zur Feministischen Partei
fortsetzen und ausbauen.
4. Dies ist der einzige politische Weg, um das aktive und passive Frauenwahlrecht,
unser einziges, potentielles Machtmittel! endlich zur Durchsetzung unserer
eigenen Interessen einzusetzen: das weibliche Volk kann dann erstmals in der
Geschichte seine eigenen Volksvertreterinnen als feministisch-politische Opposition
und Gesetzgeberinnen ins Parlament entsenden! Das ist ein großer Vorteil!
Olympe de Gouges hat das in ihrer "Erklärung der Rechte der Frau und
Bürgerin" bereits 1791 ! geplant.
5. Nur mit einem eigenem feministischen Partei-Programm können alle gesetzlichen
und ökonomischen Diskriminierungen bekämpft, alle legitimen Interessen
aller Frauen vertreten, Prioritäten gesetzt, Prinzipien unserer Politik
usf. festgelegt werden: Rechtsgleichheit, d. h. Abschaffung aller Privilegien
des männlichen Geschlechts, ökonomische Gleichheit, Schutz vor allen
Gewalttätigkeiten, privat und öffentlich usw..
Kurz: Menschenrechte für das weibliche Volk!
6. Frauen können ihre Wahlstimmen dann endlich für sich selbst,
in ihrem eigenen Interesse einsetzen; sie lassen sich nicht länger als
Stimmvieh für Männer-Machtpolitik, für fremde Interessen missbrauchen
- und nach der Wahl schlachten!
7. In dem Masse wie Wählerinnen ihre Stimme ihrer eigenen Partei
geben, schrumpfen die Männer-Parteien, wird ihr Machtmonopol abgebaut,
weil Frauen-Stimmen als Mittel zur Machtergreifung entfallen! Das ist ein
weiterer und doppelter Vorteil: wenn 20 % der Wählerinnen ihre
eigene Partei wählen, dann bedeutet das 20 % weniger Stimmen für
die Männer-Parteien. In dem Masse, wie die Frauen-Partei gewinnt, zunimmt
- verlieren sie, nehmen sie ab!
8. Zur Zeit sind 31,8 Millionen Frauen wahlberechtigt. Wenn bis 1998 eine
halbe Million Frauen Mitglieder werden, die den Aufbau unserer eigenen Partei
vorantreiben, können wir in vier Jahren sicher 20 % der Sitze im Parlament
gewinnen! Das ist eine ganz neue, hoffnungsvolle politische Perspektive!
Die Tagesordnung für die Versammlung in Kassel sollte sein:
1. Diskussion und Beschluss: Aufbau einer feministischen unabhängigen
Partei.
Frauen aus DKP, PDS, SPD, Die Grünen und anderen Männer-Parteien
oder -Organisationen können bei einem solchen Beschluss selbstverständlich
nicht abstimmen, da sie bereits parteilich gebunden, dem Programm ihrer Partei
verpflichtet, also nicht unabhängig sind, sondern die Interesen ihrer
Parteien vertreten! Doppelmitgliedschaft ist ausgeschlossen.
2. Beschluß betreffend die Einrichtung einer Programm-Kommission , bestehend
aus parteilosen, verdienten, sachkundigen, integeren Feministinnen (Wissenschaftlerinnen),
die einen Entwurf ausarbeiten.
3. Beschluß betreffend die Einrichtung einer Kommission mit der Aufgabe:
Entwurf eines Partei-Statuts
4. Beschluß: Kampagne Frauen-Wahl-Streik - solange die eigene Partei
noch in Vorbereitung ist:
Nachtrag:
Dieser Text wurde dem Streikkommittee, Köln/Bonn und dem Unabhängigen
Frauenverband, Berlin per Brief/Fax zugeschickt. Für die Frauenkonferenz
am 18.-19. Juni 1994 in Kassel stellten die Kommitees und Organisatorinnen
"Politische Diskussionspapiere" zusammen - ohne diesen Beitrag! Wer zensiert
hier? Wer masst sich an zu entscheiden, dass ein Beitrag gar nicht erst bekannt
gemacht, also gar nicht diskutiert werden kann? -
Jutta Oesterle-Schwerin unterschlug auch einen anderen Diskussionsbeitrag,
der ihr rechtzeitig zugeschickt war.
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